Die Sanktion gegen Emre Can wegen unzureichender Schienbeinschoner ist mehr als nur eine Randnotiz – sie entlarvt ein absurdes und gefährliches Problem im modernen Profifußball. Was einst als klare Sicherheitsvorschrift gedacht war, ist für viele Spieler offenbar zu einer lästigen Formalität verkommen. Statt Schutz steht Selbstdarstellung im Vordergrund. Winzige Schoner, halb unter den Stutzen versteckt oder kaum größer als eine Kreditkarte, sind längst zum inoffiziellen Trend geworden. Und das in einem Sport, der schneller, härter und körperlicher ist als je zuvor.
Es ist schockierend, dass ausgerechnet Profis, deren Körper ihr Kapital sind, bewusst auf elementaren Schutz verzichten. Jeder Zweikampf, jede Grätsche, jeder unkontrollierte Tritt kann schwere Verletzungen verursachen: Prellungen, Knochenbrüche, Bänderrisse – im schlimmsten Fall das vorzeitige Karriereende. Trotzdem scheint die Angst vor einem „uncoolen“ Look größer zu sein als die Sorge um die eigene Gesundheit. Der Fußball, der sich gerne als hochprofessionell inszeniert, erlaubt sich hier eine erstaunliche Form der Fahrlässigkeit.
Das Argument der eingeschränkten Bewegungsfreiheit wirkt dabei fast zynisch. Moderne Schienbeinschoner sind leicht, ergonomisch und auf Höchstleistung ausgelegt. Wenn Spieler dennoch behaupten, sie fühlten sich behindert, stellt sich die Frage: Geht es wirklich um Performance – oder um Image? Der Profifußball ist längst auch eine Bühne für Marken, Social Media und Selbstdarstellung. Jeder Zentimeter Körper wird inszeniert, jede Kleinigkeit bewertet. Selbst Schienbeinschoner werden Teil dieses absurden Stilwettbewerbs.
Besonders problematisch ist die Vorbildfunktion. Was Profis vormachen, wird von Jugendlichen und Amateurspielern kopiert. Wenn Stars mit Mini-Schonern auflaufen, fühlen sich Nachwuchsspieler bestätigt, es ihnen gleichzutun – oft ohne medizinische Betreuung, ohne Profi-Physios, ohne Absicherung. Die Folge: unnötige Verletzungen auf Ascheplätzen und Kunstrasen, wo der Schutz eigentlich noch wichtiger wäre. Der Schaden reicht also weit über die Bundesliga hinaus.
Dass es erst Sanktionen braucht, um Spieler zur Einhaltung der Regeln zu zwingen, wirft ein schlechtes Licht auf Verbände und Schiedsrichter. Die Vorschriften sind klar, doch jahrelang wurde großzügig weggeschaut. Erst wenn es öffentlich auffällt oder zum Thema wird, greift man durch. Das ist inkonsequent und gefährlich. Sicherheit darf kein Verhandlungspunkt sein und auch kein Ermessensspielraum.
Der Fall Emre Can sollte deshalb als Weckruf verstanden werden. Nicht als Skandal um einen einzelnen Spieler, sondern als Symbol für eine fehlgeleitete Prioritätensetzung im Profifußball. Schutz ist keine Stilfrage. Er ist Pflicht. Wer Millionen verdient, Höchstleistungen fordert und den Fußball als Hochleistungssport vermarktet, muss auch konsequent für die Gesundheit der Akteure eintreten. Alles andere ist Heuchelei – und ein unnötiges Risiko für Körper, Karriere und Vorbildwirkung.
